Jeder, der schon mal selbst oder auch nur indirekt mit Depressionen zu tun hatte, weiß, dass diese für die Betroffenen schnell zum reinsten Albtraum werden können. Für High-School-Schüler Stiles, den Protagonisten von What Happened, scheinen diese Albträume jedoch weit realer als für die meisten anderen.
Acid-Trip
Das Spiel beginnt mit einer kryptischen Intro-Sequenz, in der wir die ersten Details zu Stiles‘ Leben erfahren: Sein bester Freund Ben hat ihm seine große Liebe Maya ausgespannt, Stiles fühlt sich verraten und allein gelassen und kämpft mit seinen eigenen Gedanken, die ihm als Spiegelversion von sich selbst gegenüberstehen und bei jeder Gelegenheit daran erinnern, wie wertlos er nicht ist.
Um seinen Dämonen zu entkommen, flüchtet sich Stiles in Drogen-induzierte Trips – doch statt die erhoffte Erlösung zu bringen, treten die eingenommenen Tabletten seine Albträume erst recht los. Ab hier erwartet uns ein rund vier Stunden langer wortwörtlicher Acid-Trip, währenddessen wir uns in die verworrene Psyche von Stiles begeben und nach und nach weitere Details dazu erhalten, was ihn in das tiefe mentale Loch geworfen hat, in dem er sich aktuell offensichtlich befindet.
Problematische Durchführung
Den Großteil von What Happened verbringen wir damit, mit Stiles durch verzerrte, surreale, sich in ständiger Bewegung befindende Räume und Gänge – aber auch Spinte, Toiletten und mehr – zu bewegen, um sehr einfache (Glühbirnen-)Rätsel zu lösen und gewisse Trigger auszulösen, die uns in den nächsten Abschnitt bringen. Mal laufen wird dabei durch schattenumspielte Räume, in denen sich uns zombiehafte Hände entgegenstrecken, mal müssen wir uns unsichtbaren, aggressiven Mitschülern stellen, mal flüchten wir in überfluteten Hallen vor einem Hai. Sämtliche Umgebungen sollen Stiles verworrene, zerpflückte Psyche darstellen und zumindest dieser Teil kommt in What Happened dank reichlich psychedelischer Effekte, die die diversen Lokalitäten prägen, auch bestens zur Geltung.
Was hingegen leider weniger gut funktioniert, ist die Story selbst: Durch Tagebucheinträge, die wir finden, wirre Visionen und die ständigen Einwürfe unserer eigenen, personifizierten Psyche erfahren wir immer mehr über Stiles Freunde, seinen verstorbenen Vater und seine distanzierte Mutter und sollen so möglichst mit Stiles mitfühlen, bis wir ihn am Ende des Spiels entweder von seinen Suizidgedanken retten oder in seinen Tod schicken. So weit, so gut – doch leider fehlt hier ein entscheidender Faktor: Stiles fortschreitende Einsicht bzw. Erkenntnis, in eine Richtung oder die andere. Stiles Gedanken werden im Spiel sehr monoton dargestellt: negativ, zerstörerisch, ausweglos – und das beinahe von Anfang bis Ende, ohne tatsächlich merkbare Charakterentwicklung. So fühlt man sich während des Spiels nicht, als würde man einen jungen Mann von seinen dunkelsten Momenten zurück ins Licht (oder in noch finstere Schatten) begleiten, sondern wird stattdessen zum schlichten Zeugen einer vierstündigen, fatalistischen Momentaufnahme, die die immergleichen Events und Gedanken wieder und wieder auf neue Weise Revue passieren lässt.
Das kann natürlich zum Thema passen – viele mentale Probleme drehen sich schließlich um solche wiederkehrenden negativen Gedanken –, gleichzeitig sorgt das aber dafür, dass uns Stiles bis zum Finale von What Happened genauso egal ist wie zu Beginn. Wir lernen Stiles nie wirklich kennen, kümmern uns demnach kaum um sein Schicksal, und selbst bei Erreichen des „guten Endes“, fehlt jegliche Art von gefühltem Katharsis-Moment.
Hinzu kommen einige, meiner Meinung nach, recht problematische Elemente, die von den Entwicklern wohl mangels besseren Wissens eingebaut wurden – von Stiles Überleben am Ende des Spiels, das scheinbar nicht auf eigener Erkenntnis basiert, sondern schlicht auf der Freundlichkeit einer einzigen Person, bis hin zum Text, den wir am Ende des schlechten Endes zu sehen bekommen, der uns mitteilt, dass Stiles nicht gestorben wäre, hätte er uns bloß mehr bedeutet. Vor allem letztere Aussage kann für Leute, die liebe Menschen an Selbstmord verloren haben, wie ein regelrechter Schlag ins Gesicht wirken und hat in einem Spiel, das auf mentale Probleme und Suizidgedanken aufmerksam machen möchte, nichts verloren.
Mentales Chaos
What Happened wird seinem Namen gerecht, denn so ganz sicher, was hier passiert ist – oder zumindest passieren hätte sollen – bin ich am Ende des Spiels immer noch nicht. Zunächst scheint es, als wäre der Titel ein weiterer Vertreter in der Reihe kürzlich erschienener Games, die auf wörtlich spielerische Weise an Themen wie Depressionen, Suizidgedanken, Selbstverletzung und mehr aufmerksam machen möchten; im Endeffekt scheint das Spiel jedoch bloß die düstersten Seiten dieser Krankheiten darzustellen, ohne auch nur einen Versuch zu starten, Vorschläge und Lösungen zum Umgang mit diesen zu liefern. Hinzu kommen einige unüberlegte Plot- und Dialogentscheidungen, die Betroffene sogar in noch tiefere Abgründe werfen könnten, sodass wir all jenen sogar eine eindeutige Warnung gegen What Happened aussprechen möchten. Wer sich vier Stunden Negativität ohne wirkliches Licht am Ende des Tunnels zumutet, den erwartet hier ein wörtlicher depressiver Drogen-Trip, der, wenn schon nicht durch ausgefeiltes Gameplay oder eine emotional vereinnahmende Story, zumindest durch seine interessante Präsentation bei Stange hält.
What Happened
Systeme: PC (Steam)
Genre: First-Person-Adventure
Entwickler / Publisher: Genius Slackers / Katnappe
Erscheinungsdatum: 30. Juli 2020
Kira arbeitet bereits seit 2004 für diverse Videospiel- und Entertainment-Magazine, darunter auch die ehemaligen Printmagazine von Gamers.at und consol.at. Leidenschaftliche Zockerin ist sie allerdings schon seit dem Atari 2600 und sie kann sich auch nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern wird.