Cyberpunk 2077 ist endlich da. Seit der ersten Ankündigung sind acht lange Jahre voller Theorien, Verschiebungen und Berichte über die Probleme hinter den Kulissen vergangen. Um das Spiel selbst schien es in den letzten Monaten nicht mehr zu gehen. Wie ist das ambitionierte Rollenspiel mit Starbesetzung denn nun geworden?
Bevor es tief in die Materie geht, seien ein paar Dinge erwähnt: Zunächst wurde für das Review hauptsächlich auf der PS5 gezockt. Wir haben uns zu Vergleichszwecken auch die PS4-Version angeschaut und schreiben darüber im Text, die Endwertung basiert jedoch alleine auf der PS5-Version. Während der Testphase erschien zudem Patch 1.04, dessen Auswirkungen schon in das Review mit eingeflossen sind. Letztendlich werden Spoiler in diesem Review natürlich so gut es geht vermieden. Ihr könnt also ohne Bedenken weiterlesen.
Willkommen in Night City
Diese Stadt ist ein Moloch in Neon. Eine Zukunftsvision, die nur auf den ersten Blick sehr anders als unsere Realität wirkt. Die Menschen mögen augmentiert sein und sich für unsere Verhältnisse futuristisch kleiden, aber eigentlich sind ihre Ambitionen und Probleme dieselben. In dieser Welt übernehmen wir die Kontrolle des Söldners / der Söldnerin V. V ist entweder Straßenkind, bei einem der Konzerne Night Citys angestellt oder als Nomade jenseits der Mauern des Molochs aufgewachsen. Die Herkunft hat Auswirkungen auf das Verhalten Vs und viele Dialoge, doch eigentlich schafft man sich als Spieler die Geschichte selbst. Die Hauptstory ist im Vergleich zu The Witcher 3: Wild Hunt mit ca. 25 bis 30 Stunden kurz ausgefallen, aber diese alleine macht Cyberpunk 2077 nicht aus. Was sich bei Geralts letztem Abenteuer bereits abzeichnete, hat CD Projekt nun zur Königsdisziplin erhoben: Die Nebenaufgaben verdienen ihren Namen eigentlich nicht mehr. Immer wieder verzahnen sie sich mit dem Hauptplot und machen die Welt erst richtig lebendig. Zunächst flach wirkendende Figuren bekommen Ecken und Kanten, wenn man sich näher mit ihnen beschäftigt, und unter Umständen gewinnt man sogar einen Freund fürs Leben, der einem in harten Zeiten den Rücken freihält. Das kann wiederum starke Auswirkungen auf das Ende der Hauptgeschichte haben. Die Narrative und das Schaffen einer lebendigen Welt sind weiterhin die großen Stärken von CD Projekt Red. Es gibt kaum ein Spiel, dessen Dialoge so gut und dynamisch sind, dessen Charaktere so lebendig wirken wie Cyberpunk 2077. Allen voran Hauptfigur V, der/die im Laufe der spannenden Geschichte immer mehr an Persönlichkeit gewinnt.
Es ist vollkommen normal, wenn man staunend durch die Straßen läuft. In Night City scheint einfach immer etwas los zu sein. Auf der Amüsiermeile passiert tagsüber nicht viel, während sie sich nachts in einen Sündenpfuhl verwandelt. An einer Kreuzung bricht plötzlich ein Feuergefecht zwischen einer Gang und der Polizei los, in welches V eingreifen kann. Das ist wiederum gut für das Street-Cred-System, welches V bessere Angebote bei Händlern und bessere Aufträge bei Fixern verschafft. Schade nur, dass es so ein System nicht auch für die verschiedenen rivalisierenden Gangs gibt, denn obwohl man viele Aufträge für verschiedene Quest-Geber erledigt, scheint sich Vs Ruf bei den jeweiligen Fraktionen nicht zu ändern. Das stört die Immersion ebenso wie einige generische Nebenaufgaben, die in Open-World-Games gang und gäbe sind. Solche Problemchen vergisst man jedoch schnell, denn es dauert nie lange, bis man wieder von der einzigartigen Atmosphäre Night Citys aufgesogen wird. Cyberpunk 2077 ist kein Sandbox-Game, und mit dieser Erwartungshaltung solltet ihr auch nicht an diesen Titel herangehen. Das Spiel hat eher die DNA von Deus Ex als von GTA. Von der Geschichte ablenkende Mini-Spiele wie Dart, Golf oder Tennis werdet ihr in Night City ebenfalls nicht finden.
V, das Multitalent
Was beim äußerst detaillierten Charakter-Editor beginnt, in dem ihr alles von Standardsachen wie Haarfarbe, Frisur und Tattoos bis hin zu Dingen wie die Länge eurer Fingernägel, das Aussehen eurer Zähne, den Klang eurer Stimme oder sogar das Aussehen eurer Geschlechtsteile bestimmen könnt, setzt sich im Gameplay fort. Eurer/Eurem V sind bei der „Berufswahl“ kaum Grenzen gesetzt. Ein gewitzter Hacker? Ein schleichender Infiltrator mit Katana? Oder soll es doch eher die grobe Kelle mit dicken Waffen geben? Dank eines ausgefeilten Skilltrees ist das alles möglich. Dieser erfordert zwar eine gewisse Einarbeitungszeit, belohnt dafür aber auch mit vielen Möglichkeiten für einen eigenen Spielstil. Soll V beispielsweise gut im Schleichen, aber kein/e Assassine sein, könnt ihr bei Stealth-Angriffen die Gegner auch nur ausknocken und sie nicht direkt umbringen. Da schimmern wieder die Wurzeln der P&P-Vorlage durch. Nach ein wenig Eingewöhnungszeit in die Steuerung geht das alles auch sehr gut von der Hand.
Ihr wisst ja: Keine Spoiler in diesem Review! Aber Johnny Silverhand muss natürlich erwähnt werden. Keanu Reeves vertont seine Rolle mit hörbarer Freude und ist dabei unter der exzellenten englischen Cast sogar noch einer der schwächeren Sprecher. Doch auch die deutsche Synchro braucht sich nicht zu verstecken und punktet mit bekannten Stimmen. Benjamin Völz ist als Stammsprecher von Keanu Reeves natürlich mit von der Partie. Audiovisuell ist Cyberpunk 2077 eine Bombe. Von einigen Glitches und Aussetzern abgesehen (zu den Bugs kommen wir noch) spielt ihr nicht nur ein Spiel in Night City, ihr lebt dort. Daran haben die grafischen Details ebenso großen Anteil wie der großartig zur Welt passende Soundtrack, an dem sich auch bekannte Künstler mit exklusiven Tracks beteiligt haben.
Was man bei all der Begeisterung über die möglichen Spielstile aber erwähnen muss, ist, dass sie sich zwar alle gut spielen, aber keinem Referenztitel das Wasser reichen können. Für sich genommen werdet ihr auf dem Markt bessere Shooter oder Stealth-Games finden, aber Cyberpunk 2077 ist mehr als die Summe seiner Teile. Und Spaß macht es ja dennoch, auch wenn die Waffen in einem Doom Eternal noch mehr Wumms haben. Das Kämpfen aus der Ego-Perspektive ist CD Projekt sehr gut gelungen und trägt massiv zur Immersion bei. Für die 1st-Person kann man dem Entwickler auch in anderer Hinsicht dankbar sein, denn das Loot-System ist bisweilen recht eigenwillig. Zwar findet man häufig in Sachen Werten bessere Ausrüstung, dafür sieht V mit der neuen Jacke manchmal auch aus, als wäre er/sie beim Casting für das nächste JRPG als „zu übertrieben“ abgelehnt worden. Wer sich von seinem coolen Outfit nicht trennen will, kann es zumindest aufwerten. Die Werte des neuen Loots erreicht man damit zwar nicht, dafür trägt man aber auch keine Klamotten wie Hair Metal Bands aus den 80ern. Was aber wiederum durchaus zur Welt von Cyberpunk 2077 passen würde …
Ein Meisterwerk mit Abstrichen, oder: Das Leiden der Last-Gen
Ihr habt es schon längst mitbekommen: Cyberpunk 2077 ist weit davon entfernt, ein technisch einwandfreies Spiel zu sein. Die Vermutung liegt nahe, dass der Titel eigentlich noch ein wenig mehr Entwicklungszeit benötigt hätte, die Marktsituation das aber nicht zuließ, was zu den Problemen geführt hat, die vor allem die Versionen auf PS4 und Xbox One plagen. Dort ist der Titel nahe an der Unspielbarkeit, so sehr hängen die alten Konsolen hinterher. CDPR hat sich in einem eigenen Statement jedoch schon dafür entschuldigt und verspricht baldige Patches. Warum das Spiel überhaupt auf der Last-Gen veröffentlich wurde, liegt auf der Hand: Es ist kurz vor Weihnachten und durch die Auslieferungsprobleme der neuen Konsolen greifen viele noch auf ihre alten zurück. Zumindest wenn sie keinen hochgezüchteten Gaming-PC zur Verfügung haben, auf dem Cyberpunk 2077 natürlich am besten läuft und seine volle Wirkung entfaltet. Doch auch auf der PS5 konnte uns Cyberpunk 2077 überzeugen, vor allem seit dem Patch 1.04, welcher die Performance nochmal deutlich verbesserte. Leider ist auch die neue Konsolengeneration nicht vor Bugs und Glitches gefeit. Falsch spawnende Objekte sind nicht weiter wild, aber wenn man durch eine nicht triggernde Quest mehrere Stunden Spielfortschritt verliert, ist das äußerst frustrierend.
Von der Last-Gen möchten wir zu diesem Zeitpunkt ausdrücklich abraten! In unserer ausführlichen PS4-Session stürzte das Spiel mehrmals ab, sah durch die hässlichen NPCs (die zudem noch in deutlich geringerer Anzahl vorhanden sind) furchtbar aus und hatte aufgrund der häufig einbrechenden Framerate etwas von einer Diashow. Die nur langsam ladenden Texturen waren da noch das geringste Problem. Hoffen wir, dass die angekündigten Patches nicht lange auf sich warten lassen werden.
Auf der richtigen Plattform Kandidat für das Spiel des Jahres!
Cyberpunk 2077 ist genau das geworden, was ich mir gewünscht habe: Ein Ereignis, eine Erfahrung, ein Spiel, das im Gedächtnis bleibt. Es will nach seinen eigenen Regeln gespielt werden, aber wenn alle Rädchen ineinandergreifen, wird man Night City so schnell nicht mehr verlassen wollen. Das ist es, was ich mir von einem Rollenspiel erwarte, und das habe ich auch bekommen. Man kann und darf aber nicht unter den Tisch fallen lassen, in welchem Zustand Cyberpunk 2077 auf den Markt gekommen ist. Ich selber hatte bis auf eine nicht triggernde Quest keine gravierenden Bugs, aber mir sind Gamebreaker bekannt, die sogar auf neuesten Gaming-PCs vorgekommen sind. Da muss CD Projekt Red schnell nachliefern, was sie ja auch tun wollen. Da nachfolgende Wertung auf der PS5-Version basiert, noch ein Wort zur PlayStation 4, auf der ich Cyberpunk 2077 ebenfalls knapp fünf Stunden getestet habe: Finger weg! Ich würde das Game knallhart um mehrere Punkte abwerten, hätte ich es nur auf der Last-Gen zocken können. Das darf bei so einem Titel nicht passieren. Dennoch: In allem abseits der aktuellen Performance ist Cyberpunk 2077 grandios. Ich freue mich sehr auf das Next-Gen-Upgrade, welches im Januar 2021 kommen soll und hoffentlich auch die letzten Zweifel beseitigt.
Cyberpunk 2077
Systeme: PS4, Ps5, Xbox Series, PC, Google Stadia
Getestet auf: PS5
Genre: Action-Rollenspiel
Entwickler / Publisher: CD Projekt RED
Erscheinungsdatum: 10. Dezember 2020
Zocker seit Game Boy Tagen, als ihn Mystic Quest und Metroid II in fremde Welten entführten. Musikliebhaber und Film-Nerd mit Hang zum kreativen Schreiben. Tobt sich auch mit eigenen Texten über Filme, Musik und Games auf der eigenen Seite aus, die über das WordPress-Symbol hier drunter zu erreichen ist.
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