Geliebte Menschen zu verlieren, ist niemals leicht – schon gar nicht, wenn sie bislang den Mittelpunkt des eigenen Lebens darstellten. Um die vorausgehende Angst und den Verlust selbst zu überwinden, finden wir alle unterschiedliche Wege – die junge Izzy, beispielsweise, verarbeitet all ihre Gefühle in den Geschichten, die sie schreibt. Im wundervoll gestalteten Sidescrolling-Jump’n‘Run Lost Words: Beyond the Page dürfen wir sie durch diese begleiten.
Geschichtenschreiberin
Lost Words: Beyond the Page besteht aus zwei ineinander verschachtelten Erzählungen. Zunächst wäre da Izzy, ein junges Mädchen, das all ihre Erlebnisse in einem Journal festhält, das ihr ihre Oma geschenkt hat. Wir hören, wie ihre Großmutter sie stets umsorgt und dazu bringt, ihr Schreibtalent zu fördern, wie die beiden gemeinsam Abenteuer erleben, und schließlich, wie Izzy damit klarkommen muss, dass ihre Oma einen Schlaganfall erleidet und ins Krankenhaus muss.
Zeitgleich beginnt Izzy damit, ihre eigene, fantastische Story zu schreiben. Hier sucht ihr zu Beginn des Spiels einen von drei Namen aus und legt eure Backstory sowie euer Aussehen fest, die sich in Folge durch das gesamte Spiel ziehen. Wirklichen Einfluss auf die Geschichte hat das nicht; die Möglichkeit, zusammen mit Izzy Entscheidungen beim Schreiben ihrer Story zu treffen, ist aber dennoch ein netter Aspekt. Meine Protagonistin hieß somit Robyn, trug einen grünen Umhang und einen blauen Saphir um den Hals.
Geschriebene Magie
Während ihr Izzy beim Schreiben ihres Journals zuseht, müsst ihr mit ihr von Wort zu Wort springen, um neue Textzeilen – allesamt übrigens auch schön vertont – zu aktivieren oder Zeichnungen, die das Geschehen erzählen, erscheinen zu lassen. Zudem müssen ab und an Wörter an die richtige Stelle gezogen werden, um Sätze zu vervollständigen oder um die Wörter selbst als Plattformen zu anderen Zeilen zu nutzen. Manche Wörter bergen zudem richtige Magie. So kann das Wort „finden“ beispielsweise geheime Dinge auf einer leeren Seite aufdecken oder das Wort „öffnen“ gezeichnete Türen aufmachen.
Nach jedem Tagebuch-Abschnitt springt die kleine, gezeichnete Izzy in ein Portal, das sie in ihre eigene Geschichte bringt. Nun übernehmt ihr Robyn – oder wie immer ihr sie zu Anfang genannt habt – und bewegt euch durch eine zauberhafte Welt, in der ihr, als frischgebackene Wächterin der Glühwürmchen, ausziehen müsst, um diese zurückzuholen, nachdem sie ein böser Drache verjagt und euer Dorf in Brand gelegt hat. Und natürlich will auch der Drache selbst gestellt werden.
Um diese zu tun, lauft ihr durch die hübsche, side-scrollende 2D-Welt und löst nicht allzu fordernde Rätsel, indem ihr auch hier die Magie der Wörter anwendet. In Izzys Geschichte findet ihr immer wieder Ausdrücke, die besondere Kräfte haben – beispielsweise könnt ihr mit „zerbrechen“ Gegenstände und sogar Mauern zerstören, sie mit „reparieren“ wieder ganz machen oder mit „Hoffnung“ für Licht selbst in der tiefsten Dunkelheit sorgen.
Beide Spielpassagen fühlen sich frisch an und machen Spaß, auch wenn der Schwierigkeitsgrad stets sehr niedrig bleibt. Das macht aber nichts, denn im Grunde ist Lost Words: Beyond the Page in erster Linie eine interaktive Geschichte – und diese ist nicht nur mit viel Emotion und Atmosphäre erzählt, sondern beinhaltet zudem auch viele niedliche Charaktere, was alles zusammen dafür sorgt, dass man den rund vier bis fünf Stunden langen Titel am liebsten in einem Sitz durchspielen möchte.
Die Story hinter der Geschichte
Auch wenn Robyns Suche nach den Glühwürmchen und dem bösen Drachen, der sie verscheucht hat, mit ihren realen Erlebnissen anfangs nicht viel gemein hat, wird im Verlauf des Spiels schnell klar, dass alles, was in der Fantasy-Welt passiert, eine stilisierte Metapher für das ist, was Izzy tatsächlich passiert. Als Oma plötzlich ins Krankenhaus kommt und sich Izzy alleine fühlt, muss Robyn etwa alleine ihr Dorf verlassen und sich auf die Suche machen und findet sich direkt in einer einsamen Wüste wieder, in der ein verlassener Dschinn wartet.
Die emotionale Überstory ist eine Erzählung rund um Trauer und den Umgang mit Verlust und Tod – durch alle bekannten Stufen, von Verleugnung über Wut, Verhandeln und Depression bis hin zur schließlichen Akzeptanz. Unterstützt wird das Gezeigte von der wunderbaren Präsentation: Die märchenhafte Fantasiewelt mit ihren Cel-Shading-Umgebungen gibt einem beim Spielen das Gefühl, tatsächlich durch ein Märchenbuch zu laufen, und selbst die Buchseiten in Izzys Journal werden durch die animierten Zeichnungen und Texte lebendig und spannend. Der Soundtrack bietet passende Klänge, die der Stimmung weitere Tiefe verleihen, und besonderes Lob soll auch an die Sprachbesetzung des Titels gehen, die durchwegs großartige Arbeit geleistet hat.
Trauerarbeit als interaktives Märchen
Themen wie Trauer und Verlust positiv aufzuarbeiten, ist nicht leicht – insbesondere deshalb, weil Trauer etwas sehr Persönliches ist. Lost Words: Beyond the Page schafft es dennoch, das Thema mit viel Feingefühl und gleich zwei Story-Strängen, die gekonnt miteinander verwoben sind, aufzuarbeiten und die Spieler damit tief zu berühren. Man muss diese Art von Verlust noch nicht selbst mitgemacht haben, um hier mitzufühlen – hat man es, wird man das Gezeigte nur umso besser verstehen. Lost Words ist keine leichte Kost, aber ein wundervoller Titel, der mit enorm viel Emotion und wundervoller Atmosphäre fesselt und dem einen oder anderen mitunter sogar dabei helfen kann, selbst Erlebtes zu verarbeiten.
Lost Words: Beyond the Page
Systeme: PS4, Xbox One, Switch, PC (Steam, GOG, Stadia)
Getestet auf: PS4
Genre: Jump&Run, Adventure
Entwickler / Publisher: Sketchbook Games, Fourth State / Modus Games
Erscheinungsdatum: 6. April 2021
Kira arbeitet bereits seit 2004 für diverse Videospiel- und Entertainment-Magazine, darunter auch die ehemaligen Printmagazine von Gamers.at und consol.at. Leidenschaftliche Zockerin ist sie allerdings schon seit dem Atari 2600 und sie kann sich auch nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern wird.
