Wenn ein neues Far Cry erscheint, werden schnell die Unkenrufe über die berüchtigte „Ubisoft-Formel“ laut. Man wisse schon vorher, wie das Spiel sei. Aber ist dem wirklich so? Und vor allem: Ist das wirklich so schlimm?
Zumindest die erste Frage hat die erwartete Antwort: Ja, Far Cry 6 bietet genau das, was Fans und Kritiker von der Reihe erwarten. Das sollte keinen ernsthaft überraschen. Und die zweite Antwort? Sehen wir uns das Game mal an …
Urlaub in der Sonne
Den macht Hauptfigur Dani im deutlich von Kuba inspirierten Inselstaat Yara natürlich nicht. Schließlich leidet die Bevölkerung unter Diktator „El Presidente“ Antón Castillo, der seine Herrschaft mit eiserner Faust nur oberflächlich hinter seiner gütigen Fassade verbirgt. Menschen werden für Knochenarbeit in einer Lotterie ‚ausgelost‘, Soldaten patrouillieren auf den Straßen, und im Untergrund brennt das Feuer der Revolution. Was Settings angeht, macht Ubisoft nach wie vor kaum jemand etwas vor. Wie auch zuletzt bei Assassin’s Creed Valhalla haben die EntwicklerInnen eine fantastisch aussehende und atmosphärische Welt geschaffen, in der man sich als Spieler nach Herzenslust austoben kann. Hier eine gegnerische Basis, dort etwas Sammelkram, und weiter hinten lädt der Ozean zur nächsten Bootstour ein. In der Gestaltung von Far Cry 6 wurde ebenso nichts dem Zufall überlassen wie beim Marketing. Das stützte sich natürlich vor allem auf den Antagonisten Castillo. Gespielt wird er von Giancarlo Esposito, den man unter anderem aus Breaking Bad, The Mandalorian und vielen Filmen von Regisseur Spike Lee kennt.
Bei so viel Fokus auf Castillo, geht beinahe unter, dass unsere Figur Dani männlich oder weiblich sein kann. Spielerische Unterschiede macht das aber ohne keine, und auch visuell anpassen können wir den/die RevoluzzerIn in spe nur durch neue Kleidung. In einer seltsamen Entscheidung ersetzt diese übrigens auch den Skilltree, was heißt, dass wir neue oder verbesserte Fähigkeiten nur noch durch neuen Klamotten erhalten. Anschauen können wir uns diese beispielsweise in der Third-Person-View der eigenen Basis oder im Fotomodus. Grafisch funktioniert das Spiel erwartungsgemäß auf neueren Plattformen am besten, auch wenn die PS4-Version auch durchaus noch performt. Nur dass die Framerate der Cutscenes selbst auf dem PC so viel geringer als der Rest des Spiels ist, irritiert. In Kombination mit den starren Gesichtern wirkt das sehr unschön und steht im starken Kontrast zur sonst schönen Umgebung. Auch musikalisch hätten ein paar einprägsame Stücke dem Soundtrack wirklich gutgetan. Immerhin kracht die Action ordentlich, und darauf kommt es bei einem Shooter am Ende des Tage ja auch an.
Viva la revolución
Dani will eigentlich von Yara fliehen, landet aber nach einem ersten Zusammentreffen mit Castillo bei den Guerillakämpfern von „Libertad“, denen er/sie sich auch nach einigen Bedenken anschließt. Die Grundstory von Far Cry 6 ist also eine durchaus ernste und scheut auch nicht vor härteren Bildern zurück. Leider wirkt sie seltsam unfokussiert, weil die bedrückende Stimmung immer wieder durch seltsam überdrehte Figuren und Nebenaufgaben durchbrochen wird. Als Beispiel seien hier die Matanzas genannt, eine Rebellengruppe, die wir im Storyverlauf für unsere Sache gewinnen sollen. Diese sind alle so gewollt „hipp und cool“ geschrieben, dass es a) furchtbar unangenehm ist und man b) förmlich den Marktforscher mit der Checkliste vor sich sieht, der genau weiß, „was die Kids heute wollen“. Auch Danis Charakterwicklung von „Ich will hier weg!“ zu „Tod dem Diktatoren!“ ist alles andere als nachvollziehbar. Schade ist auch, dass Castillo so wenig mit dem Spieler interagiert. Da wird viel Potenzial liegen gelassen.
Aber mal weg von der Geschichte und der Welt. Wie spielt sich das Spiel eigentlich? Wie schon gesagt: Eigentlich wie immer. Und das ist in diesem Fall nichts Schlechtes. Das Waffenhandling macht nach wie vor Spaß, die Open World bietet sehr viele Möglichkeiten, und wenn das nächste Gefecht losbricht, kann man sich schon auf mehrere Minuten pure Action freuen. Okay, die omnipräsenten Helikopter können nerven, aber ansonsten macht auch das zehnte Zerlegen einer Basis noch irgendwie Spaß. Es ist nur frustrierend, dass es NOCH besser sein könnte. Schleichen, ballern, Fahrzeuge klauen … all das haben wir schon sehr oft gemacht, gerade in dieser Reihe. Wenn dann noch die Gegner überhaupt nicht an ihrem Leben zu hängen scheinen und nur in großer Masse wirklich gefährlich werden, nutzt sich die „Ubisoft-Formel“ für viele doch recht schnell ab.
Auflockerung und Unterstützung im Kampf bieten die tierischen Begleiter, wie ein Krokodil mit T-Shirt, ein Hund mit Rollstuhl oder ein Hahn mit Nietenhalsband und gefärbtem Kamm. Die passen zwar auch überhaupt nicht in die ernste Guerilla-Story, aber davon losgelöst sind sie schon ganz putzig. Ob man aber die wirklich grausamen Hahnenkämpfe als cooles Minispiel präsentieren muss, sei mal dahingestellt. Diskutieren kann man auch über die begrenzen Waffenslots. Dani kann nur bis zu vier Schießprügel mit sich herumschleppen. Da man für verschiedene Gegnertypen verschiedene Munitionsarten braucht, legt man sich dementsprechend schnell fest und experimentiert kaum noch. Immerhin bekommen die Waffen durch das sehr spaßige Crafting-Feature schnell einen persönlichen Touch.
Business as usual
Wer Far Cry bisher liebte, kommt auch um Teil 6 nicht herum. In seinen stärksten Momenten punktet auch der neueste Ableger vor allem durch das fantastische Setting, und auch die Hauptmissionen haben mir durchaus Spaß gemacht. Aber trotzdem passt das Gesamtpaket nicht so recht. Alles fühlt sich festgefahren an, viel Potenzial wird verschenkt - was schade ist, wenn es dort draußen Titel gibt, die eben alles ein wenig besser machen. Vielleicht wäre ein ändern der bewährten Formel doch mal ganz gut. Für mich fühlt sich das Spiel jedenfalls wie eine Pflichtaufgabe an, die zwar souverän, aber keinesfalls überragend gelungen ist. Wenn dazu noch eine Story kommt, die mich eher langweilt als motiviert, dann bleibt unterm Strich doch leichte Enttäuschung zurück. Wenn sich beim nächsten Teil wiederum nichts ändert, ist sehr fraglich, ob ich wieder zugreifen werde.
Far Cry 6
Systeme: PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X|S, PC
Getestet auf: PS4, PS5
Genre: Open-World-Shooter
Entwickler / Publisher: Ubisoft
Erscheinungsdatum: 6. Oktober 2021
Zocker seit Game Boy Tagen, als ihn Mystic Quest und Metroid II in fremde Welten entführten. Musikliebhaber und Film-Nerd mit Hang zum kreativen Schreiben. Tobt sich auch mit eigenen Texten über Filme, Musik und Games auf der eigenen Seite aus, die über das WordPress-Symbol hier drunter zu erreichen ist.