Knapp zwei Jahre nach der Veröffentlichung auf Steam schickt sich das Action-RPG CrossCode an, auch die Konsolenspieler auf den Mond Shadoon zu entführen. Dort findet in ferner Zukunft ein gigantisches Live-Rollenspiel statt, an dem die Spieler im Körper von Roboter-Avataren teilnehmen. Lea ist allerdings nicht zum Spielen hier, denn sie erwacht ohne Gedächtnis in dieser fantastischen Welt.
Modernes Retro-Feeling
Wie man auf den Screenshots erkennt, steckt in CrossCode viel DNA der guten alten 16-bit-Zeiten. Das allein genügt 2020 dank der Schwemme an Retro-Games aber nicht, um aus der Masse herauszustechen. Das erste Spiel des deutschen Entwicklerstudios Radical Fish Games (herrlicher Name übrigens) ist allerdings von so hoher Qualität, dass es nicht nur verklärte Nostalgiker ans Pad fesselt. Warum dem so ist, schauen wir uns nun einmal genauer an.
CrossCode funktioniert nach dem bewährten „Looten & Leveln“ Prinzip und kombiniert dies mit zum Teil deftigen Rätseln. Veteranen werden sich an dieser Stelle an Spiele wie Legend of Zelda, Landstalker oder Alundra erinnert fühlen. Unsere Heldin Lea lässt sich angenehm flüssig steuern und variiert nach einer kurzen Eingewöhnungszeit mühelos zwischen Fern- und Nahkampf. Gerade das Abfeuern der Energieprojektile macht richtig Laune und erlaubt einige taktische Vorgehensweisen. Die sind allerdings auch nötig, denn die Gegner schlafen nicht und erfordern flinke Reaktionen. In Kombination mit dem guten Trefferfeedback macht das die Kämpfe sehr motivierend. Auch der Soundeffekt beim Ableben der Feinde trägt seinen Teil dazu bei. Dieses Detail wird von Entwicklern sonst gerne vergessen. Solltet ihr mal das Zeitliche segnen, braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, denn die Checkpoints sind fair gesetzt und die Ladezeit quasi nicht existent. Neue Fähigkeiten erhält man durch „Circuits“, die man in einem an das Sphärobrett aus Final Fantasy X erinnernden Menü einsetzt.
Den anderen großen Teil der Dungeons und Außenareale machen Rätsel aus, die sehr auf Leas Fernkampfwaffe setzen. Wenn ihr nämlich länger anvisiert, könnt ihr den Schuss an Wänden abprallen lassen. Keine Sorge, eine Zielhilfe zeigt euch stets die Flugbahn eures Projektils an. Im weiteren Verlauf warten dann einige richtige Kopfnüsse auf euch, die neben Kombinationsgabe auch schnelle Reaktionen erfordern. Die Sprungmechanik ist dabei sehr gnädig und lässt euch auch Sprünge schaffen, bei denen man sich im ersten Moment schon im Abgrund wähnte. Dies kommt einem sehr entgegen, denn wie bei den Kämpfen werden spätere Rätsel richtig knackig und gelegentlich haben es die Entwickler auch dezent übertrieben. Glücklicherweise lässt sich der Schwierigkeitsgrad der Kämpfe und Rätsel separat anpassen. Das hält den Frust gering.
Gefangen in einem MMORPG
Was wie der Alltag vieler Menschen klingt, ist für Lea weniger lustig. Nach einem kryptischen Intro erwacht sie im Körper ihres blauhaarigen Avatars an Bord eines Schiffes und wird sofort unter die Fittiche der Besatzung genommen. Zu allem Überfluss ist auch ihr Sprachmodul kaputt und sie erlernt erst im Laufe der Geschichte einfache Wörter wie „Hi“ oder ihren Namen. Eine nette Anspielung auf die oft stummen Helden in JRPGs. Ein anderes Klischee wird mit der Amnesie der Heldin ebenfalls bedient, aber das ist schon okay. So kann man ihr (und der Person vor dem Bildschirm) die Welt erklären, ohne dass es zu gezwungen wirkt. Und das tut man auch … in zum Teil endlos langen Dialogen. Die ersten 90 Minuten bestehen gefühlt nur aus Tutorials. Das mag abschreckend wirken, ist aber zum Glück halb so wild, denn auch ohne Sprachausgabe wächst einem Lea schnell ans Herz. Ihr Porträt und jene anderer Hauptfiguren verändern sich im Laufe jedes Gespräches mehrmals und zeigen eine ganze Bandbreite an Emotionen. Die Geschichte, soviel sei ohne Spoiler verraten, beginnt schleppend, motiviert im weiteren Verlauf aber immer mehr zum Weiterspielen. Wer doch mal den Überblick über Figuren, Welt und Waffen verliert, wirft im übersichtlichen Menü einen Blick in die „Enzyklopädie“. Und abschließend noch ein Wort zu den Nebenquests: Bis auf wenige Ausnahmen sind diese leider nur Standardkost.
Ansprechender Retro-Charme
Die Grafik von Crosscode ist wunderschön, bietet viele kleine Details und einige schöne Effekte. Kurz: Retro, wie es sein soll. Auf der hier getesteten PS4-Version lief zudem alles flüssig. Switch-Gamer müssen zwar mit Slowdowns rechnen, können sich dafür aber auch auf eine exklusive Quest-Reihe freuen. Ganz ohne Kritik kommt die Optik aber nicht über die Ziellinie, denn bei Höhenunterschieden stießen Radical Fish Games manchmal an ihre Grenzen. Es kommt immer wieder vor, dass man nicht sofort erkennt, ob man sich nun auf Höhe einer Plattform befindet oder nicht. Das führt zu Frustmomenten, wenn man schnell über diverse Plattformen springen muss und sich in der Hektik verschätzt. Soundtechnisch bietet CrossCode gefällige Musik, die vom Stil her manchmal an das erste Suikoden erinnert, allerdings ohne dessen Klasse zu erreichen. Ein paar Kampfthemen mehr wären auch wünschenswert gewesen, aber dafür nervt keines der Lieder, was ja auch schon etwas wert ist. Die Soundeffekte sind dafür wie erwähnt richtig gelungen und motivierend.
Großartiges Debüt
Was die Entwickler hier abgeliefert haben, ist aller Ehren wert. Von einigen Kinderkrankheiten abgesehen, macht CrossCode über die gesamte Spielzeit von 50 bis 70 Stunden hinweg Spaß. Motivierende Kämpfe, größtenteils tolle Rätsel, abwechslungsreiche Areale und eine sympathische Hauptfigur – so kann man mit Retro-Games auch jüngere Semester begeistern. CrossCode macht wenig neu, aber vieles richtig. Und weil sie sogar in der englischen Version das Wort „Holerö“ eingebaut haben, kommen Radical Fish Games ohnehin in mein Buch der coolen Leute.
CrossCode
System: PS4, Xbox One, Switch, PC (Steam)
Getestet auf: PS4
Genre: Action-Rollenspiel
Entwickler/Publisher: Radical Fish Games/Deck13
Erscheinungsdatum: 20. September 2018 (Steam)/9. Juli 2020 (Konsole)
Zocker seit Game Boy Tagen, als ihn Mystic Quest und Metroid II in fremde Welten entführten. Musikliebhaber und Film-Nerd mit Hang zum kreativen Schreiben. Tobt sich auch mit eigenen Texten über Filme, Musik und Games auf der eigenen Seite aus, die über das WordPress-Symbol hier drunter zu erreichen ist.
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