Was passiert, wenn sich zwei Ex-Guerrilla-Games-Entwickler mit regem Interesse an skandinavischer Folklore zusammenschließen und ein Indie-Adventure basteln? Richtig: Röki. Also steigt in die Schnee-stapfenden Schuhe von Tove und lasst euch auf eine Reise voller Mythen, Legenden, Götterwesen und Monster mitnehmen.
Kleiner Bruder, große Schwester
Röki spielt im undefinierten Norden Skandinaviens, in einem Wald voller magischer Wesen, die Tove zunächst bloß der regen Fantasie ihres kleinen Bruders Lars zuschreibt. Als die beiden nach einem weiteren Tag voller Abenteuer samt Monster-Bekämpfung per Schneeball und Treffen mit unsichtbaren Trollen unter der Brücke nach Hause kommen, finden sie ihren „Pappa“ Henrik schlafend in seinem Schaukelstuhl vor – scheinbar nichts Neues, ist der gutmütige Papa-Bär seit „Mammas“ Tod doch immer erschöpft.
Tove kocht also für alle Eier, bringt Lars ins Bett und alles ist, wie es scheinbar schon seit Jahren ist – zumindest bis mitten in der Nacht ein gigantisches Ungetüm auftaucht, das Haus in Trümmer legt und nach einer rasanten Schlittenfahrt tatsächlich Lars entführt, und zwar gleich in eine andere Dimension. Tove wird indessen in einen Teil des Waldes verfrachtet, den sie noch nie zuvor betreten hat, und plötzlich scheinen die magischen Kreaturen, die Lars schon immer sehen konnte, auch für sie real: sprechende Bäume, Trolle, die Knochensuppe kochen, hilfreiche kleine Tomtes – und natürlich die gewaltigen Wächter. Letztere waren eine der Lieblingsgeschichten von Toves und Lars verstorbener Mutter und wie sich schnell herausstellt, steckt hinter Lars‘ Entführung auch niemand anderer als die Raben-Wächterin selbst. Einst verliebt in einen Menschen gebar sie nämlich ein Kind, das halb Wächter und halb Mensch war und wurde dafür von ihren drei Geschwistern verbannt – und nur Lars‘ Opfer kann dafür sorgen, dass ihrem Sohn Röki ein ähnliches Schicksal erspart bleibt.
Voller Magie
Röki ist ein klassisches Adventure-Game, bei dem ihr Orte erkunden, Gegenstände finden, Dialoge führen und so manches Rätsel lösen müsst, um einen Wächter nach dem anderen zu finden, zu erwecken und schließlich euren kleinen Bruder zu retten. Die Geschichte bringt euch dabei an allerlei magische Orte, von Bäumen, durch dessen Wurzeln ihr euch im Nu teleportieren könnt, um die große Welt gemütlicher zu erforschen, über die Behausung so manches niedlichen oder auch unheimlichen Geschöpfs bis hin zu den Altären der gigantischen Wächter selbst, die von übernatürlichen Parasiten befreit werden müssen und euch Visionen von Toves eigener Vergangenheit bescheren. So erfahrt ihr im Laufe des Spiels nicht nur immer mehr über Röki und seine sein Mutter Rörka, sondern auch über Tove und das tragische Schicksal ihrer eigenen Familie.
An dieser Stelle würde man vielleicht starke Parallelen vermuten, um die Monster-Story mit jener der beiden Geschwister und ihrer Eltern gleichzusetzen, in Wahrheit laufen diese beiden Stränge allerdings zum Großteil unabhängig voneinander ab, was die Geschichte im Endeffekt ein wenig zerrissen und unrund wirken lässt, bis hin zum Finale, das recht abrupt endet. Glücklicherweise ist bei Röki aber ohnehin eher der Weg das Ziel, während der Plot bloß eine große Richtung vorgibt, in die es gehen soll. Die meiste Zeit verbringt ihr also dabei, die unterschiedlichen Bewohner des Zauberwaldes kennenzulernen, euch mit einigen anzufreunden und andere auszutricksen, um letztendlich immer weiter vorzudringen – bis hin zu den vorhin schon genannten Wächtern selbst. Gesteuert werden darf dabei alles mittels Maus und Keyboard oder Gamepad, wobei wir letzteres empfehlen. Ich selbst habe das Spiel mit meinem PS4-Controller gespielt, was bestens funktioniert hat.
Das Rätseldesign ist ein wenig durchwachsen: Die Aufgaben und Umgebungen sind prinzipiell mit Liebe gestaltet, allerdings hat man ab und an das Gefühl, dass einzelne Passagen unnötig in Arbeit ausarten. So ist die Lösung so manches Rätsels schnell gefunden, die tatsächliche Umsetzung erfordert jedoch minutenlanges, unspannendes Betätigen von Schaltern, Anlocken von Kreaturen oder Herumschieben von Statuen. Schön ist indessen, dass alle Aktionen in der Welt von Röki nachvollziehbar sind und man zu keiner Zeit auf sinnentleertes Herumkombinieren angewiesen ist, um auf unlogische Item-Kombinationen zu kommen – und auch der Schwierigkeitsgrad bewegt sich im angenehmen Mittelfeld.
Sagenumwobene Reise
Neben den eigentlichen Rätseln, die euch in der Story weiterbringen, könnt ihr in Röki auch jeden Winkel der Landschaft nach neuen spannenden Items für euer Journal absuchen – von besonders schönen Blättern über funkelnde Steine bis hin zu Käfern und anderen Tierchen. Euer Journal dient aber nicht nur als Sammelstelle für Collectibles, sondern auch als Karte und Notizbuch, in dem Tove immer wieder Hinweise zu diversen Aufgaben niederschreibt und in dem ihr eure bisherigen Abenteuer nochmals nachlesen dürft.
Um euch in der Cel-Shading-Welt von Röki besser zurechtzufinden, könnt ihr während des Spielens zudem jederzeit alle interagierbaren Gegenstände am Bildschirm kurz aufblitzen lassen – das ist besonders wichtig, da diese nicht immer sofort ins Auge stechen. Collectibles sind zudem oft recht klein und gut versteckt. Nichts davon ist jedoch als Kritik an der visuellen Präsentation zu verstehen – im Gegenteil: Anstatt Aufsammelbares prominent hervorstechen zu lassen, fügt sich hier alles schön ineinander.
Auch der Rest der Präsentation kann ich sehen lassen: Die Umgebungen sind abwechslungsreich und fangen die Atmosphäre der skandinavischen Folklore gekonnt ein, während der Soundtrack alles angenehm untermalt. Ein wenig Kritik gibt es von mir lediglich für die Quasi-Sprachausgabe: Während keiner der Charaktere in Röki tatsächlich spricht, hat jeder von ihnen eine Handvoll an Worten und Lauten parat, die von unterschiedlichen Aktionen und Ereignissen getriggert werden. Anfangs sorgt das auch noch niedlich für Stimmung, wenn man Tove allerdings zum dreihundertsten Mal an nicht ganz passender Stelle „Lars“ oder „Pappa“ murmeln oder dasselbe erschrockene/erstaunte Stöhnen von sich geben gehört hat, wünscht man sich, die Entwickler hätte auf die Stimmen gleich vollends verzichtet.
Legendäres Abenteuer
Röki erfindet das Rad auf keinen Fall neu, macht als klassisches Adventure jedoch so gut wie alles richtig. Die Rätsel machen größtenteils Spaß und finden einen guten Mittelweg zwischen fordernd und logisch aufgebaut, während zahlreiche versteckte Collectibles auch die Sammelwut von Completionists anregen. Die Präsentation ist simpel gehalten und gerade deshalb so ansprechend, auch wenn der Sound wohl ein paar mehr Sprachzeilen, speziell von Tove, vertragen hätte. Die Story von Röki spielt an viele Elemente der nordischen Mythologie an und versucht obendrein, emotionsgeladene Themen wie den Verlust geliebter Personen, Mutterliebe und Familienbande anzusprechen, tritt im Endeffekt aber doch in den Hintergrund. Dem Spielspaß tut dies aber glücklicherweise kaum etwas ab. Röki ist ein solider Adventure-Titel mit niedlichem Setting, den sich Genre-Fans auf jeden Fall zulegen sollten.
Röki
System: PC (Steam)
Genre: Adventure
Entwickler/Publisher: Polygon Treehouse / United Label
Erscheinungsdatum: 23. Juli 2020
Kira arbeitet bereits seit 2004 für diverse Videospiel- und Entertainment-Magazine, darunter auch die ehemaligen Printmagazine von Gamers.at und consol.at. Leidenschaftliche Zockerin ist sie allerdings schon seit dem Atari 2600 und sie kann sich auch nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern wird.