Wie schon in den Vorgängern hacken, kämpfen und rebellieren wir in Watch Dogs: Legion in futuristischen Städten – diesmal im unterdrückten London und mit einer wörtlichen Legion an spielbaren Charakteren. Doch ist mehr tatsächlich besser? Wir haben unzählige Rekruten für uns gewonnen und den Titel für euch genau unter die Lupe genommen.
We are Legion
Der Widerstand braucht neue Kämpfer – viele neue Kämpfer und so folgen wir im neuesten Teil der Watch Dogs-Reihe nicht etwa einem einzigen Protagonisten wie in Teil eins oder zwei, sondern gleich einer ganzen Organisation, eben der namensgebenden Legion. Die Widerstands- und Hackergruppe DedSec sucht nach Bombenanschlägen in London, die auf sie abgewälzt werden, nach neuen Rekruten, um gemeinsam mit ihnen ihre Weste wieder reinzuwaschen. Klingt einfach? Keineswegs. Denn DedSec versucht nicht nur die Wahrheit ans Licht zu bringen und den wahren Schuldigen zu stellen, sondern ebenso, mithilfe ihrer neuen Agenten gegen den Überwachungs- und Polizeistaat vorzugehen, zu dem London mittlerweile geworden ist.
Um möglichst viele solche für euch zu gewinnen, könnt ihr im Spiel selbst entscheiden, wen ihr steuert, wen ihr auf offener Straße zu rekrutieren versucht. Habt ihr jemanden ausgewählt – vom wilden Hooligan bis zur harmlos aussehenden Oma – startet ihr die zugehörige Mission für den Charakter. Diese reichen von der Zerstörung von Waffenkisten bis hin zum heimlichen Download von Daten und der Beschaffung anderer heikler Informationen. Jeder so erworbene Recke ist mit individuellen Fähigkeiten ausgestattet, die euch in den verschiedenen Haupt- und Nebenmissionen diverse Vorteile verschaffen können – es lohnt sich also, eine möglichst breit gefächerte Legion auf die Beine zu stellen.
Willkommen im Widerstand!
Wie bereits angedeutet, geht es im Verlauf des Spiels hauptsächlich darum, Rekruten mit unterschiedlichen Fähigkeiten anzuheuern, um gegen ein größeres Übel vorzugehen. Dass ihr dabei einen alten Mann ebenso wie eine Top-Agentin aus Sicherheitsdiensten und auch sonst so gut wie jeden, der euch in London begegnet, für eure Sache gewinnen könnt, sorgt für jede Menge Abwechslung. So dürft ihr tatsächlich eine wahre Legion an Charakteren aufbauen, zwischen denen ihr wechselt, um das Spielerlebnis in einer technisch fortschrittlichen Zeit, die der unseren gar nicht so unähnlich ist, zu genießen. Dass dabei allerdings die individuelle Bindung zur jeweiligen Figur auf der Strecke bleibt, ist nicht verwunderlich. Bis man erst einmal seinen Liebling mit den für einen selbst oder für die jeweilige Mission geeigneten Fähigkeiten findet, kann eine Weile vergehen, und ihr steuert währenddessen Charaktere, mit denen ihr euch vielleicht noch nicht einmal anfreunden könnt. Sollte dabei auch noch einer eurer Agenten sterben – sofern ihr „Permadeath“ aktiviert habt – ist das ebenfalls kein großer Verlust, da etliche gleiche Charaktere nachrücken können.
Ansonsten könnt ihr die Missionen einfach wiederholen – so lange, bis ihr erfolgreich seid. Bezüglich der jeweiligen Schwierigkeitsgrade dürft ihr zwischen leicht, normal und schwer wechseln. „Normal“ fordert euch mehr und schneller als in den Vorgängerteilen; „leicht“ lässt euch die Story hingegen ungestört genießen.
Nett ist die Option, dass ihr im Hauptquartier gelegentlich mit euren rekrutierten Agenten interagieren könnt. Hier habt ihr auch vermehrt Kontakt mit einer engagierten und aus Spoilergründen namentlich nicht genannten Person, die im Hintergrund die Fäden von DedSec zieht und euch dabei unterstützt, den Widerstand aufzubauen. Und da DedSec keine Terroristengruppe ist, sondern den Bürgern Londons helfen will, ist die Hackergruppe auch um ihre eigenen Mitglieder bemüht. So zieht sich eure Figur beim geringsten Anzeichen von Gefahr eine individuell ausgewählte Maske über das Gesicht, um anschließend unerkannt weiter durch die Straßen laufen und neue Agenten für eure Sache anwerben zu können.
Unterstützt werdet ihr bei eurem Vorhaben aber nicht nur von DedSec per se, sondern auch von einer künstlichen Intelligenz namens Bagley, die nicht mit Humor und Zynismus spart. Hart ausgedrückt ist sie neben wenigen Ausnahmen der einzige Charakter in Legion, der einem doch ans Herz wächst und nicht so austauschbar wie die gesteuerten Spielfiguren ist. Eine nette Ergänzung, die dem Titel in einer Flut aus oberflächlichen Charakteren gehörig Charmepunkte verleiht.
Everything is connected
Wie schon in den beiden Vorgängerteilen von Watch Dogs lässt sich der Leitspruch von Legion gleichermaßen formulieren: „Everything is connected“. Und dass tatsächlich die ganze Stadt auf technischer Ebene miteinander verbunden ist, wird spätestens dann klar, wenn auch in Legion so gut wie alles und jeder gehackt werden kann: Telefone jeder Person, an der ihr vorbeilauft, Straßen, Verkehrsmittel, Bankomaten, Kameras, Drohnen und Spiderbots – alles im Paket enthalten. Eine nette Erneuerung ist vor allem die Nutzung der Spiderbots, spinnenartiger Roboter mit hoher Sprungkraft, die ihr von einem Ort zum nächsten steuern dürft. Praktisch, wenn ihr euch in einem Sperrgebiet befindet, in dem ihr als Person nicht entdeckt werden dürft – sofern ihr nicht alles und jeden über den Haufen schießen wollt. Zwar wird auch der Spiderbot nicht gerne gesehen, aber er kann sich aufgrund seiner Größe schneller verstecken, als das mit eurer gewählten Spielfigur der Fall ist.
Auch Drohnen, die an jeder Ecke durch die Straßen fliegen, um alles zu überwachen, könnt ihr hacken, um im Anschluss mit ihrer Hilfe die Gegend zu erkunden – oder ihr deaktiviert sie und macht sie zur ferngesteuerten Bombe. Doch Vorsicht, sorgt ihr für zu viel Radau und Aufmerksamkeit, ist wie schon in den vorigen Teilen sofort die örtliche Polizei – in diesem Fall Mitarbeiter der privaten Sicherheitsfirma Albion – hinter euch her. Dann heißt es auf einem Motorrad oder in einem schnittigen Wagen wild durch London jagen, um eure Verfolger abzuhängen – und das ist gar nicht so leicht, da bei ausgelöstem Alarm überall Straßensperren errichtet werden, die ihr zwar passieren könnt, die eure Verfolger jedoch auch sofort wissen lassen, wo ihr euch befindet. Denn nicht vergessen: Alles ist verbunden.
Wie immer macht es auch richtig Spaß, sämtliche Kameras zu hacken, um sich vor Ort ein Bild zu verschaffen, bevor man eventuell noch blind ins Verderben läuft. An einigen Stellen ist das Hacken sogar notwendig, da manche Bereiche mit einem Sicherheitssystem versehen sind, das ihr nur via Kamera zu Kamera hacken könnt, oder das sogar physische Interaktion benötigt. Um das zu erreichen, muss erst einmal die eine oder andere Tür via Hack-Befehl geöffnet werden. Es ist euch ebenso möglich, Frachterdrohnen zu rufen, auf die ihr klettern und die ihr anschließend steuern könnt. Ihr fliegt dann sozusagen über London und gelangt auf Dächer und zu Zielen, die ihr anders vielleicht nur mühsam oder gar nicht erreicht hättet. Der technische Fortschritt ist wie in den Vorgängerteilen aus zeitgenössischer Sicht zwar wesentlich weiterentwickelter als unserer, doch nichts, was nicht tatsächlich in einigen Jahren erreichbar wäre. Legion zeigt somit wunderbar was passieren könnte, wenn unsere Stadt von Computersystemen und korrupten Machtinhabern gesteuert würde, die sich einen Vorteil aus einem technisch vollends verbundenen Überwachungsstaat machen würden. So übt Watch Dogs: Legion auch eine Form von Technik-, Gesellschafts- und KI-Kritik und jongliert ohne auffälligen Übertreibungen mit Klischees der technischen Überwachung.
Das Hacking-System von Watch Dogs: Legion selbst könnte einfacher nicht sein: Einfach anvisieren, und schon seid ihr im System. Auch der Rest der Steuerung geht gut von der Hand, und in den Kämpfen habt ihr zudem einige Freiheiten. So ist es beispielsweise euch überlassen, Gegner zu töten oder nur bewusstlos zu schlagen. Das Nahkampfsystem ist relativ einfach gehalten, besteht aus einem verteidigungsdurchbrechenden Schlag, einem gewöhnlichen Fausthieb, einem Finishing-Move, wenn der Gegner bereits am Boden ist, und natürlich einem Ausweich-Manöver inklusive Konter. Letzteres bietet zumeist die beste Strategie, um einen Konflikt, in dem die Fäuste fliegen, erfolgreich auszutragen.
Ganz euer Stil
Waffen und besondere Gerätschaften könnt ihr mit im Spiel überall sammelbarer Tech Points aufwerten und freischalten. Dabei gibt es keine Beschränkung pro spielbarem Agenten, denn ihr könnt eure Ausrüstung jederzeit tauschen – je nachdem, was ihr gerade für die bevorstehende Mission benötigt. Zumindest sofern ihr euch nicht gerade in einem Einsatzgebiet oder mitten im Kampf befindet. Unterstützt werdet ihr bei allem, was ihr tut, – wie bereits erwähnt – von der KI Bagley, die euch auch mitteilt, sobald ihr den Ort erreicht habt, an dem sich euer Ziel befindet. Mit Witz und Humor, manchmal auch ernst und sarkastisch, gibt euch Bagley Hinweise und sorgt somit für Auflockerung während all der Missionen.
Wie aus Ubisofts Games bekannt, spart auch Watch Dogs: Legion nicht mit Nebenmissionen und zahlreichen Sammelzielen. Wer also bloß schnell die Hauptstory durchspielen will, kann den Titel in rund 20 Stunden durchspielen, verpasst jedoch viele Szenen und Aufgaben, die mit netten Anspielungen und Belohnungen versehen sind. Die Hauptstory gliedert sich in fünf Kapitel und befasst sich jeweils mit anderen korrupten Personen Londons sowie deren Anhängerschaft. Die zahlreichen Nebenmissionen sorgen noch einmal für rund 30 Stunden Spielspaß – und sogar noch mehr, wenn ihr wirklich alles sammeln oder jedes Minigame entdecken wollt, wie beispielsweise einen Fußball zu kicken. In Arenen schlagt ihr euch obendrein noch mit Faustkämpfen bis an die Spitze der Elite und könnt einzigartige Charaktere rekrutieren.
Auch Customization-Fans kommen in Watch Dogs: Legion auf ihre Kosten: So dürft ihr eure Charaktere nicht nur individuell über Shops – die in ganz London verteilt sind und eine riesige Auswahl an Kleidungsstücken und mehr bieten – ausstatten, aktuell passend gibt es auch eine Extrakategorie mit „Gesichtsmoden“, über die ihr eure Figuren mit schicken Mund-Nasen-Schutzmasken versehen könnt. Ganz offensichtlich möchte Ubisoft seine Spieler in Zeiten wie diesen dazu ermuntern, auch außerhalb der Spielewelt Masken zu tragen, was definitiv positiv auffällt.
Willkommen in der Zukunft
Die Zukunft ist in Watch Dogs: Legion bereits eingekehrt, technisch steckt das Spiel jedoch leider eindeutig ein wenig fest. Während alles für die Next Gen und ihre Möglichkeiten vorbereitet wird, sieht man sich auf der (noch) Current Gen mitunter sehr langen Ladezeiten im Spiel, kleineren Grafik-Bugs sowie reduzierten Details in schnelleren Passagen gegenüber. Das digitale London ist hingegen eine wahre Augenweide – vor allem in der Nacht. Überall blinkende Lichter, Farben und Holoprojektionen, die reichlich Stimmung aufkommen lassen. Wer schon einmal vor Ort war, wird einige Gegenden detailgetreu wiedererkennen. Die Charaktere wirken jedoch etwas flach und generisch, was angesichts der Tatsache, jeden Nächstbeliebigen als spielbare Figur rekrutieren zu können, nicht verwunderlich ist. Entgegen eines Aiden Pearces oder Marcus Holloways in den Vorgängerteilen liegt der Fokus nicht nur auf einer Figur oder einer Gruppe, die detailreich und liebevoll ausgearbeitet wurden, sondern die Charaktermodelle in Legion weisen – so zahlreich wie sie sind – optisch als auch charakterlich einige Schwächen auf. Die Liebe zum Detail geht in der schieren Summe verloren und lässt sich stattdessen eher in der Spielewelt und Umgebung finden; dafür erhalten die KIs der Spielfiguren aber eine Art Gedächtnis. Tretet ihr also einem Charakter auf die Füße, der mit dem, den ihr rekrutieren wollt, in Verbindung steht, wird dieser nicht gerade von DedSec angetan sein, was dem Spielerlebnis doch wieder einen netten, zusammengehörigen Touch verleiht. Zudem kommt noch, dass manche Dialoge und Aussagen etwas fehl am Platz wirken, was wohl ebenfalls damit zu erklären ist, dass bei dieser massiven Anzahl an spielbaren Charakteren nicht alles perfekt miteinander übereinstimmen kann. Der Soundtrack untermalt das Spielgeschehen indessen durchwegs stimmig, während ihr die Songs zahlreicher Bands während Motorrad- oder Autofahrten abspielen dürft.
Hacken, hacken und nochmal hacken!
Als großer Fan von Aiden Pearce aus dem ersten Teil der Reihe und der Begeisterung darüber, wie viel Spaß das Hacken in Watch Dogs macht, wollte ich mir auch den dritten Teil nicht entgehen lassen. Vor allem mit jener Erneuerung, dass jede Figur innerhalb Londons für den Widerstand gegen eine staatliche Unterdrückung rekrutiert werden kann und demzufolge spielbar ist. Trotz coolem Konzept und vieler spaßiger Spielstunden in einer wundervoll gestalteten, mit Liebe zum Detail versehenen Welt, sorgt dann aber auch genau dieser Kern-Aspekt von Legion für die meisten Probleme: Die schiere Anzahl an spielbaren DedSec-Agenten verhindert, dass man als Spieler wirklich Bindung zu den Figuren aufbaut. Am besten hat mir dann doch die KI Bagley gefallen, die für einen netten Spielbegleiter sorgt und eine der wenigen charakterlichen Konstanten darstellt. Technisch hätte ich mir ebenfalls ein wenig mehr erwartet - vor allem die doch recht häufigen kleineren Bugs und die langen Ladezeiten trüben den Spielspaß. Alles in allem hat sich Ubisoft viel vorgenommen, viel eingehalten und doch keine Perfektion abgeliefert. Doch wenn wir ehrlich sind: Was ist je perfekt? Watch Dogs: Legion mag zwar kein Titel sein, der für die Videospielgeschichte bahnbrechend ist, dennoch ist deutlich zu erkennen, wie viel Mühe und Liebe zum Detail darin enthalten ist. Das Spiel macht definitiv Spaß und bietet unzählige Stunden, in denen man in Legion versinken kann.
Watch Dogs: Legion
Systeme: PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series, PC
Getestet auf: PS4
Genre: Action-Adventure, Open-World
Entwickler / Publisher: Ubisoft
Erscheinungsdatum: 29. Oktober 2020
Fremde Welten zogen Jacqueline bereits von frühsten Tagen an in ihren Bann. Schon bevor sie aufgrund ihres kreativen Kopfes 2008 Autorin wurde, waren es Geschichten in Videospielen, Büchern und Filmen – inklusive dort angesiedelter Charaktere –, die ihr Leben maßlos bereicherten. Als Redakteurin ist sie seit 2017 tätig. Jene Games, die zu ihrer größten Leidenschaft gehören, sind Final Fantasy (vor allem VII & XV), Drakengard / NieR, Kingdom Hearts, Assassin’s Creed, Mass Effect, Dragon Age und einige Star Wars-Spiele.