„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein …“ – ich entschuldige mich für den Ohrwurm, aber wie schon Reinhard May besungen hat, gehört Fliegen noch immer zu den größten Faszinationen der Menschheit, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Flugsimulatoren ein beliebtes Genre sind. Dennoch kamen in den letzten Jahren eher wenige auf den Markt, und umso größer war die Überraschung, als Microsoft letztes Jahr zur E3 einen neuen Teil seines Microsoft Flight Simulator ankündigte.
Schon im Vorfeld beeindruckte man dabei mit einigen Previews, die einen bislang ungesehenen Detailgrad ankündigten. Die ersten Bilder versprachen Atemberaubendes und man war gespannt, wie Microsoft dieses Monster zu uns nach Hause bringen wollte.
Vollgepackt mit großartigen Sachen
Mit rund 90 GB (erhältlich als Download- oder Disc-Version, die zum eigentlichen Spielen samt Map-Streaming jedoch beide Internet benötigen) ist der Microsoft Flight Simulator kein Leichtgewicht, weder für eure Festplatte noch für eure Internetverbindung. Was man dafür geboten bekommt, rechtfertigt die Datenmengen allerdings, denn neben wörtlich der gesamten Welt, mit ihren Flughäfen und sogar Flugfeldern, sind in der Standard-Version auch 20 Flugzeuge mit dabei – in der Deluxe Edition sogar 30, also noch zehn mehr.
Zu den Flughäfen und Feldern sei gesagt, dass hier natürlich nicht jeder einzelne Airport der Erde nachmodelliert wurde. Tatsächlich wurden in der Basis-Version 30, in der Premium-Deluxe-Edition nochmals zehn mehr tatsächlich handmodelliert, während die anderen knapp 37.000 Flughäfen im Spiel aus der Bing Aerial View Map rekonstruiert sind, also das tatsächliche Aussehen der jeweiligen Ort bloß annähern.
Die Flugzeugmodelle sind indessen allesamt bis ins Detail rekonstruiert, von der kleinen Cessna, mit der ihr euer erstes Flugtraining absolviert, bis hin zur bekannten Linienmaschine Airbus A-320neo. Sowohl außen wie auch in den Maschinen, insbesondere natürlich im Cockpit, hat man sich Mühe gegeben, alle realen Elemente möglichst lebensnahe darzustellen. Und wie auch schon in früheren MS Flight Simulator-Versionen sieht das Cockpit nicht bloß schön aus, sondern ist auch voll funktionsfähig. So habt ihr beispielsweise die Wahl, das Fahrwerk mittels den von euch belegten Buttons zu bewegen oder aber direkt den richtigen Hebel im Cockpit anzuklicken.
Simulation ist kein Arcade
Wie der Name schon sagt, ist der Microsoft Flight Simulator ein Simulator, daher sollte man nicht mit der Erwartung an das „Spiel“ herangehen, schnell mal fünf Minuten Tutorials zu spielen und dann problemlos durch die ganze Welt zu düsen. Um ein Flugzeug fliegen zu können, bedarf es einiger „Ausbildung“, wem aber Begriffe wie Flaps, ILS, Gear usw. nicht ganz fremd sind, der kann gleich ins Geschehen eintauchen.
Es empfiehlt sich allerdings selbst für erfahrene Simulator-Piloten, zumindest einige der eingebauten Flugtraining-Übungen durchzuführen, denn die Simulation ist doch näher an der Realität, als dies in vorhergegangenen Spielen der Fall war. In den Übungen lernt man alles, was man benötigt, um einen Flug erfolgreich zu starten, aber auch – noch viel wichtiger –, um ihn erfolgreich zu beenden. In eurer Cessna dürft ihr so in acht Trainingseinheiten alles von den Grundzügen der Steuerung und Instrumente über die Navigation und Kommunikation während des Fluges bis hin zum Landeanflug lernen.
Fühlt ihr euch als Piloten dann erst mal sicher genug, gilt es, euer Wissen in anderen Maschinen auf selbst festgelegten Flugrouten zu vertiefen. Hierbei müsst ihr zwar keinen ganzen Flugplan einreichen, dennoch aber Abflug- und Ankunftsflughafen festlegen und dann alle gelernten Schritte, vom Start bis zur Landung, selbst einleiten. Damit alles spannend bleibt, und zwar für Anfänger wie Vollprofis gleichermaßen, gibt es hierbei drei grundsätzliche Settings, die euch den MS Flight Simulator stufenweise von voll unterstützt bis vollkommen realistisch, also ohne zusätzlich Hilfen, erleben lassen. Ein eigenes Menü ermöglicht es euch hier zudem, jede einzelne Mechanik auch trotz der drei Standard-Settings anzupassen. Somit könnt ihr sicher sein, während des Spiels genau so viel – und nur so viel – Hilfe zu bekommen, wie ihr gerne möchtet, was den Titel trotz enormem Realitätsgrad auch für Einsteiger und Cockpit-Neulinge leicht zugänglich macht.
Während eurer Flüge dürft ihr dann neben dem gewünschten Flugzeug auch die Tageszeit und das Wetter bestimmen. Sofern ihr mit dem Internet verbunden seid, können die aktuelle Wetterlage und Uhrzeit eurer aktuellen Position aber auch direkt übernommen werden. Entscheidet ihr euch also etwa für einen Flug von München nach Dubai und regnet es aktuell im nächtlichen München, dann wird es dort auch im Spiel regnen und dunkel sein.
Die komplexe Steuerung
Gleich vorweg: Microsoft unterstützt eine schier unendlich scheinende Anzahl von Eingabegeräten und Steuerungsmöglichkeiten, angefangen von Maus und Keyboard über eine Vielzahl von Controllern bis hin zu der ganzen Palette an Flightsticks und sogar HOTAS-Systemen samt Pedalen. So gut das klingt, so schnell wird man womöglich aber auch enttäuscht, denn Plug&Play ist hier eher Plug&Pray. Mit jedem angeschlossenen Gerät muss man hoffen, dass es ein vordefiniertes Profil gibt, das man nur mehr den eigenen Vorlieben entsprechend anpassen muss (sofern man nicht einfach mit der Standard-Belegung loslegen möchte). Ist dem nämlich nicht so, muss man sich zunächst eine gefühlte Ewigkeit mit der Belegung der Tasten beschäftigen.
Die Gründe für diese Ewigkeit sind an zwei Faktoren festzumachen: Zum einen gibt es eine fast unendliche Anzahl an Funktionen, mit denen jede Taste belegt werden kann. Diese sind zwar in entsprechende Funktionsgruppen sortiert, doch welche braucht man tatsächlich? Zum Glück hat Microsoft hier mitgedacht und einen Filter eingebaut, der die Funktionen bei Bedarf auf die Notwendigsten reduziert, um auch unerfahrenen Neulingen ein angenehmes Erlebnis zu bieten, gleichzeitig aber Vollprofis sämtliche Konfigurationsoptionen zu geben, die sie sich nur wünschen könnten.
Der andere Zeitfresser-Faktor bei der Konfiguration ist jedoch, dass man nicht einfach die entsprechende Funktion auswählt und dann die Taste des Eingabegeräts drückt, sondern diese stattdessen aus der Liste der Verfügbaren Tasten des Eingabegeräts auswählen muss. Das ist kein riesiges Problem, gestaltet sich aber dennoch weit umständlicher, als es sein könnte.
So schöne Probleme
An der Simulation selbst lässt sich kaum ein schlechtes Haar finden: Als Möchtegern-Pilot fühlt es sich an, als ob man tatsächlich ein Flugzeug steuert, und in Sachen Realismus gibt es bislang nichts Vergleichbares – zumindest abseits tatsächlicher Flugschulen mit Raum-großen Cockpit-Nachbauten. Die Umgebung kann, wie bereits angesprochen, weltweit gestreamt werden und sieht aus luftigen Höhen auch fantastisch aus. Sieht man genauer hin, bemerkt man allerdings sehr wohl, dass hier getrickst wird: Obwohl das prinzipielle Layout der Städte stimmt, sieht man in Bodennähe oft die immer gleichen Gebäude und vermisst auch so manches ikonische Bauwerk. So sind weltbekannte Sehenswürdigkeiten wie der Eiffelturm mit dabei, aber gerade in Wien fehlt so gut wie alles: Der Donauturm ist ein kleines Hochhaus, die Uno City sind generische Hochhäuser, der Prater ist ein Wohngebiet und sogar der von allen geliebte Stephansdom ist bloß ein unscheinbares Hochhaus. Bei einem Spiel, das wörtlich die ganze Welt beinhaltet, irgendwo verständlich, aber dennoch sehr schade, gerade wenn man bedenkt, dass beispielsweise Wien eines der beliebtesten Städtereiseziele der Welt ist.
Die teils bloß stark angenäherten Umgebungen bleiben allerdings nicht das einzige Manko des Microsoft Flight Simulators, denn da wären auch noch die Menüs. Hier hat man einen seltsamen Hybriden aus PC- und Konsolen-tauglichem Menü geschaffen, der sich weder mit dem Controller noch mit der Maus wirklich gut bedienen lässt. Zudem hat man ab und an das Gefühl, Optionen werden versteckt (Stichwort Flotte, die man erst im Untermenü eines Untermenüs findet, anstatt, als wohl wichtigsten Punkt des Games, direkt am Hauptbildschirm). Das alles schmälert den Spielspaß zwar nicht wirklich, ist aber dennoch unnötig nervig.
Etwas, das einem den Spielspaß allerdings sehr wohl ein wenig vermiest, sind die jetzt schon zahlreichen kostenpflichtigen Add-ons. Kauft man den Microsoft Flight Simulator in der Premium Deluxe Version, zahlt man bereits 120€ dafür. Aktuell gibt es zudem bereits 14 Add-ons ab 14,99€, also weitere Inhalte für über 200€. Natürlich erhält man dadurch weitere Flughäfen, detailliertere Landstriche oder sogar neue Flugzeuge, dennoch fragt man sich, warum diese nicht zumindest in der teuren Premium Deluxe Version schon mit dabei waren.
Immerhin ist der Microsoft Flight Simulator in der Basis-Version für alle Xbox-Game-Pass-Besitzer gratis. Hier legt man dann mitunter gerne auch mal ein paar Euro extra für das eine oder andere Upgrade hin.
Grenzenlose Freiheit
Microsoft hat mit dem Flight Simulator 2020 ein wunderbares Stück Simulation abgeliefert und die Tradition der vergangenen Teile gelungen weitergeführt. Der Detailgrad sucht seinesgleichen, auch wenn gerade bei den Umgebungen oft ein wenig geschummelt wird. Das Fluggefühl selbst ist beeindruckend und versetzt einen direkt in den Pilotensitz, egal ob in kleinen einmotorigen Maschinen oder großen Jumbo-Jets, die allesamt eigenes Flugverhalten an den Tag legen. Getrübt wird das Flight Simulator Erlebnis eigentlich bloß durch die nicht wirklich ideal angelegten Menüs und die Schwierigkeiten bei der Konfiguration einiger Eingabegeräte. Hinzu kommt, dass man trotz Gratis-Zugang zum Flight Simulator via Game Pass jetzt schon das Gefühl hat, dass einem im Endeffekt regelmäßig Geld aus der Tasche gezogen werden soll. Selbst die Premium Deluxe Version bietet nur einen Bruchteil der aktuell zu Verfügung stehenden Inhalte und Add-ons gibt es bereits zahlreich und nicht gerade preiswert zu kaufen. Immerhin hat Microsoft schon angekündigt, auch weitere Inhalte und sogar einen VR-Modus kostenfrei nachliefern zu wollen, wann genau steht allerdings noch aus. Wenn man bei in der Standard-Version bleibt und verschmerzen kann, sein eigenes Haus, oder seinen Lieblingssportplatz beim Überfliegen nur erahnen zu können, so wird man jedoch mit einer nahezu perfekten Simulation bedient, die sich kein Flug-Fan entgehen lassen sollte.

Microsoft Flight Simulator 2020
Systeme: PC
Getestet auf: Ryzen 7 3700k, Radeon 5700XT, 32 GB RAM
Genre: Flugsimulator
Entwickler / Publisher: Asobo Studios / Microsoft
Erscheinungsdatum: 18. August 2020
Der Bastler, der Techniker, der Zocker – In die goldene Zeit des Videospiels hinein geboren, ließ ihm die Technik in und um Videospiele keine ruhige Minute mehr. Dies führte zu vielen hingebungsvollen Stunden voller Spaß, Frust und Leidenschaft. Durch glückliche Fügungen stolperte er in den Games Journalismus, wodurch es ihm ermöglicht wird diese Erfahrungen weiter zu geben.