Mit Shadowbringers schrieb sich das kreative Team von Final Fantasy XIV im Sommer 2019 in ein kleines, aber erfreuliches Problem: Wie übertrifft man sich nach einer derart gelungenen Erweiterung noch selbst? Nun geht das Online-Rollenspiel mit Endwalker in die bereits sechste Runde, ins Finale des aktuellen Story-Arcs, und versucht, genau diese Frage zu beantworten. Ready for the ride? Let’s go!
(Achtung: Die folgenden Abschnitte enthalten kleine Story-Spoiler zu FFXIV: Shadowbringers und zum ersten Kapitel von Endwalker)
Auf (abermals) neuen Pfaden
Nach den Ereignissen von Shadowbringers und den darauffolgenden Post-Story-Patches sind unsere Helden wieder in Körper und Geist zurück in der Source und beide Weltensplitter zunächst gerettet – doch die nächste Bedrohung steht schon vor der Tür. Sowohl in Eorzea wie auch im Rest der Welt sprießen ominöse, Äther-stehlende Türme aus dem Boden, die die Wilden Stämme in ihren Bann ziehen und sie zu zombiehaften Sklaven der imperialen Telophoroi, und damit Zenos und Fandaniel, machen – die Bedrohung der dort beschworenen Primals noch gar nicht erwähnt. Am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt, beschließen die Scions also zurück zu ihren Wurzeln zu gehen, in die Heimat der Archons und damit direkt in die Hochburg des Wissens: Sharlayan. Doch auch hier lassen die erhofften Antworten wünschen. Die Bitte um Sharlayans Beistand wird rüde abgelehnt und selbst die Anstalten der Truppe, sich selbst Wissen zu verschaffen, wird an allen Ecken und Enden behindert. Das Sharlayanische Forum scheint indessen eigene, rätselhafte Pläne zu schmieden, denen es auf den Grund zu gehen gilt, und als wäre das alles noch nicht genug auf den Tellern unserer Helden, erreicht sie auch noch ein Hilferuf aus Thavnair, wo einer der Türme für Schrecken sorgt. Vor Langeweile muss sich wohl kein Scion je fürchten …
Auf den ersten Blick mag die Story von Endwalker an dieser Stelle im Vergleich zum Oomph-Auftakt von Shadowbringers beinahe etwas banal wirken: Finstere, imperiale Pläne, politische Intrigen, Monsterattacken – doch die Sorge ist absolut unbegründet, ganz im Gegenteil. Was als gewohnte Herausforderungen beginnt, entwickelt sich bereits nach wenigen Stunden Spielzeit zu einer einzigen Achterbahnfahrt an überraschenden Plotwendungen, neuen Erkenntnissen, unerwarteten Verbündeten und emotionalen Twists, die sogar die geniale Geschichte von Shadowbringers alt aussehen lassen. Mit „nur schnell einen Quest vor [was-auch-immer]“ wird es hier eher nichts, denn zwischen dem spannenden Plot und den großartig geschriebenen Dialogen fällt es einem unglaublich schwer, beim Spielen überhaupt Pausen einzulegen. Plant ihr deshalb, die neue Erweiterung einfach in einer langen Gaming-Session durchzuzocken, überlegt ihr euch das jedoch lieber noch mal, denn Endwalker speist uns nicht bloß mit einer Handvoll Stunden Main-Story samt mittelmäßigen Side-Quests ab, sondern liefert rund 50 Stunden füllerlose Hauptquests plus mindestens nochmal so viel Spielzeit an interessanten Nebenmissionen, die die Welt und ihre Völker ausbauen – weit mehr, als das die meisten Vollpreisspiele tun. Und als Abschluss des Story-Arcs, der mit A Realm Reborn begann, führt Endwalker auch direkt hin zum bombastischen Finale, das mitreißender nicht hätte sein können und keine Wünsche offen lässt – außer vielleicht ein ähnlich aufregendes Abenteuer in der Zukunft des Titels.
Von Indien bis zum Mond
Genau wie bei der Hauptstory hat man sich bei Endwalker aber auch in Sachen Präsentation wiederum voll ins Zeug gelegt und sowohl visuell beeindruckende neue Bereiche geschaffen wie auch frische, berührende Musik-Stücke geschrieben, um der Story-technisch fantastischen Erweiterung noch mehr Gänsehautfaktor zu verleihen. Die Heimat der Archons, Sharlayan, erstrahlt dabei als griechisch angehauchte Küstenstadt, deren Bewohner sich voll und ganz der Aneignung von Wissen verschrieben haben, während Thavnair, inspiriert von einer Mischung aus indischer und thailändischer Kultur, uns in leuchtenden Farben entgegenstrahlt, die nirgends besser zur Geltung kommen als im eindrucksvollen Stadt-Staat Radz-at-Han. Nach Ausflügen in fremde Dimensionen in Shadowbringers, gibt man sich in Endwalker mit bloßen Trips nach Übersee jedoch noch lange nicht zufrieden, und so verschlägt es die Scions diesmal sogar auf den verbleibenden Trabanten ihrer Welt – genau wie an so manchen anderen spektakulären Ort, der aus Spoilergründen ungenannt bleiben soll. Nur so viel: Endwalker liefert euch einige der schönsten Vistas, die es in Final Fantasy XIV, wenn nicht der gesamten Final Fantasy-Reihe, je gab. Genau wie den wohl bisher emotionalsten Soundtrack in der Geschichte des MMOs, mit wundervollen neuen Themen sowie Remixes von bekannten Songs.
Zeit für einen Karrierewechsel?
Wie für FFXIV üblich, kommt die jüngste Erweiterung zudem mit neuen Jobs – diesmal mit der Nahkampf-DPS-Klasse Reaper (Schnitter) sowie der neuen Heilerklasse Sage (Weiser). Der Reaper verlässt sich auf Attacken mit seiner Sense sowie die Beschwörung von Voidsent-Avataren und spielt sich wundervoll schnell und für eine derart mächtige Klasse erstaunlich einfach. Hier wird sich zeigen, ob Werte-technisch in den nächsten Patches noch etwas nach unten korrigiert wird. Der Sage nutzt indessen seine vier schwebenden Nouliths, um Äther zu kanalisieren und so neben dem Heilen und Erschaffen von defensiven Barrieren auch reichlich Schaden auszuteilen. Gerade in den aktuellen Dungeons fühlt sich der Job beinahe schon wie eine verkappte Tank-Klasse an, macht jedoch ebenfalls jede Menge Spaß. Beide neuen Jobklassen sind ab Level 70 verfügbar und benötigen keine gelevelte Basisklasse, wodurch ihr auf Wunsch sofort mit ihnen losstarten könnt.
Auch die bestehenden Jobs haben in Endwalker einige Überarbeitungen bekommen, wobei besonderes Augenmerk auf den Summoner (Beschwörer) gelegt wurde. Der Job wurde nicht nur angepasst, sondern komplett neu aufgelegt, bestehende Fähigkeiten gegen neue ausgetauscht, das Pet-System komplett überholt und generell viel Wert auf Entrümpelung, eine fließendere Rotation und mehr Bewegungsfreiheit gelegt. Als meine Hauptklasse, bin ich von den Änderungen sehr begeistert. Die einzigen Kritikpunkte sind aktuell, dass sich Phoenix nicht ganz so mächtig anfühlt, wie er das vielleicht sollte, und dass der Damage-Output im Vergleich zu anderen DPS-Klassen, insbesondere dem neuen Reaper, nun ordentlich zurückhängt. Hier kann man jedoch vermuten, dass die folgenden Patches noch ein wenig nachbalancieren werden, vor allem, sobald die Daten für die neuen High-Level- und Savage-Raids vorliegen.
Männliche Bunnies, gemeinsame Ausflüge und ein paar Komfort-Anpassungen
Neben all den großen Neuerungen gibt es in Endwalker schließlich noch eine Handvoll weiterer Anpassungen bzw. neuer Features, die erwähnt werden möchten. So sind die seit Shadowbringers spielbaren Viera in Endwalker nicht mehr länger genderlocked und können somit sowohl männlich wie auch weiterhin weiblich gespielt werden. Das Reisen innerhalb von Städten wurde übersichtlicher gemacht, indem das urbane Ätheryten-Netzwerk nun nicht mehr bloß als Liste, sondern auch als anklickbare Mini-Map gezeigt wird, eine neue Weltkarte, die alle bekannten Zonen Hydaelyns zeigt, wurde hinzugefügt, und dann wäre da noch das neue Eskort-System. Dieses stellt euch während gewisser Quests Begleiter zur Verfügung, die euch sichtbar nachlaufen und mit denen ihr euch in gewissen, gekennzeichneten Bereichen unterhalten könnt, um über diverse Orte und Ereignisse zu sinnieren. Der Sinn dahinter ist gesteigerte Immersion, vor allem in Abschnitten, in denen das Zusammenspiel mit euren Mitstreitern im Vordergrund steht, und das ist auch gelungen. Es fühlt sich einfach netter an, Begleiter direkt an eurer Seite zu haben, anstatt immer dabei zuzusehen, wie diese alleine voranlaufen, während ihr euch ebenfalls alleine euren Weg zum nächsten Questmarker bahnt. Einzig ein wenig ärgerlich dabei: Mounts und Ätheryten können während aktiver Eskort-Quests nicht genutzt werden, ohne eure Begleiter zu verlieren – die ihr dann wieder an der ursprünglichen Stelle neu einsammeln müsst. Weniger spaßig sind auch die ebenfalls neuen Stalker-Quests, bei denen ihr Charakteren ungesehen folgen müsst. Hier ist oft nicht klar, wo man unentdeckt stehen kann, wie weit man sich vom Quest-Ziel entfernen darf, oder warum genau man überhaupt herumschleichen muss, obwohl man den Charakter ein paar Meter später ohnehin direkt anspricht. Die Stalking-Quests sind aber auch schon mein größter Kritikpunkt an den ansonsten durchwegs gelungenen neuen Features von Endwalker.
Das Ende?
Wer Final Fantasy XIV schon länger spielt, dem fällt zum Ende der Hauptstory von Endwalker vielleicht auf, dass der sonstige Teaser für die nächste Expansion in Form von kurzen, knallroten Zweizeilern fehlt. Stattdessen findet sich dort diesmal lediglich der Hinweis „Fin“, also „Ende“. Heißt dies nun, das war es mit FFXIV? Glücklicherweise nicht. Endwalker stellt den Abschluss des aktuellen Story-Arcs dar, doch vorüber ist das Abenteuer unserer Helden deshalb noch lange nicht. Was genau als nächstes kommen mag, darüber kann man an dieser Stelle nur spekulieren. Die Story von Endwalker streut bereits einige mögliche Hinweise, bestätigt wurde bislang jedoch noch nichts. Wir sind gespannt, was in den folgenden Wochen und Monaten so angekündigt werden wird bzw. wohin die Reise in Patch 6.1 gehen wird.
Bis dahin müssen Spieler aber auch nicht ganz ohne neue Inhalte auskommen. Bereits mit Patch 6.01, der gestern live ging, wurden neue Chronicles of a New Era Quests sowie der umfangreiche Raid-Dungeon Pandæmonium eingeführt, zu dessen Story wir nicht allzu viel verraten möchten. Zugehörig könnt ihr nun Level 580er-Gear sammeln, das bereits Anfang Januar mit Patch 6.05 durch 590er-Gear für die neuen Allagan Tomestones of Astronomy bzw. 600er/605er-Gear aus den Savage-Versionen der Pandæmonium-Raids ergänzt wird. Pandæmonium wurde in 6.01 zudem nur teilweise veröffentlicht, während der Rest des Dungeons zu einem späteren Zeitpunkt folgen wird. Wer sich nach einem eigenen Domizil in Ishgard sehnt, der sollte sich außerdem daran machen, Gil zu horten, denn mit Patch 6.1 kommen endlich die dortigen Häuser auf den Markt – und zwar nach Lotteriesystem, um allen Spielern (mit den nötigen finanziellen Mitteln) eine faire Chance zu bieten. Ihr seht also: FFXIV-Spielern gehen die Aufgaben so schnell nicht aus.
Gaming-Abenteuer in Höchstform
Um zur ursprünglichen Frage aus dem Intro zurückzukehren: Konnte Endwalker das geniale Shadowbringers überbieten? Und die Antwort lautet: absolut. Was das FFXIV-Team mit Endwalker auf die Beine gestellt hat, begeistert auf so vielen Ebenen. Bei der Story hat man es nicht nur abermals geschafft, gleichzeitig zu überraschen, zu berühren, und Gänsehaut zu erzeugen, sondern dem aktuellen Story-Arc, der spätestens mit A Real Reborn, eigentlich aber bereits mit FFXIV 1.0 begann, ein mehr als würdiges Ende zu verpassen, das vollends befriedigt und keine relevanten Fragen offen lässt. Die neuen Klassen machen richtig Spaß, genau wie die Überarbeitung des Summoners – auch wenn allensamt vielleicht noch ein paar Balancing-Anpassungen guttun würden. Riesiges Lob muss auch einmal mehr der Präsentation von Endwalker ausgesprochen werden, mit ihren bezaubernden neuen Umgebungen und Musikstücken, die die Atmosphäre in ohnehin schon super emotionalen Szenen nochmals in höchste Höhen katapultieren. Und letztlich soll auch das Writing per se genannt werden, das abwechslungsreich, tiefgründig, humorvoll sowie an vielen Stellen nahezu poetisch ist, während es aktuelle Themen passend zur Welt von Final Fantasy XIV reflektiert, ohne zu politisieren oder vom eigentlichen Plot abzulenken. Mit Endwalker hat das Team rund um Yoshi-P einmal mehr bewiesen, dass Square Enix trotz kleinerer Ausrutscher in den letzten Jahren letztendlich doch mehr als zurecht als Koryphäe unter den Rollenspielen-Entwicklern gilt, und wir freuen uns riesig auf jede Menge weiterer Abenteuer mit dem Krieger des Lichts und seinen Mitstreitern.
Final Fantasy XIV: Endwalker
Systeme: PC, PS4, PS5
Getestet auf: PC (Steam) - PC Intel Core i7-8700K, 32GB RAM, GeForce RTX 2080
Genre: MMO, Rollenspiel
Entwickler / Publisher: Square Enix
Erscheinungsdatum: 7. Dezember 2021
Kira arbeitet bereits seit 2004 für diverse Videospiel- und Entertainment-Magazine, darunter auch die ehemaligen Printmagazine von Gamers.at und consol.at. Leidenschaftliche Zockerin ist sie allerdings schon seit dem Atari 2600 und sie kann sich auch nicht vorstellen, dass sich das jemals ändern wird.